Bei dem ist Hopfen und Malz verloren! Wirklich?

Jede Führungskraft kennt vermutlich diese Situation: ein Mitarbeiter tanzt komplett aus der Reihe und zeigt ein Verhalten, für das man nur sehr schwer Verständnis aufbringen kann. Nicht selten schadet dieses Verhalten anderen oder sogar dem Mitarbeiter selbst. Was ist da los? Alle Gespräche helfen nichts. Sind Hopfen und Malz etwa schon verloren?

 

Wann haben Sie das letzte Mal über einen Mitarbeiter verständnislos den Kopf geschüttelt? Beispielsweise wenn sich ein Mitarbeiter (plötzlich) grundsätzlich allen Arbeitsaufträgen widersetzt oder permanent den „Pausenclown“ spielt und lieber mit lustigen Sprüchen überzeugt als mit Leistung. Andere isolieren sich vollkommen vom Team oder verhalten sich so als ob sie ihr Umfeld nichts angeht. Es sind natürlich noch zahlreiche andere Verhaltensweisen denkbar. Oft ist es gar nicht so leicht zu verstehen, was der Mitarbeiter mit diesem Verhalten bezwecken will. Manchmal hat man als Führungskraft aber auch schnell – vielleicht zu schnell – eine Erklärung parat. Den oben beschriebenen Verhaltensweisen ist gemein, dass sie früher oder später zu Konflikten führen oder sich nachteilig auf die Arbeitsleistung auswirken. Daher lohnt es sich genauer hinzusehen und den Mitarbeiter nicht zu schnell „abzustempeln“ oder gar aufzugeben.

Konstruktivisten sind davon überzeugt, dass jedes Verhalten Sinn macht. Davon bin ich ebenfalls überzeugt. Zugegeben: das fällt manchmal ziemlich schwer- vor allem wenn das Verhalten eines Mitarbeiters ihm und anderen scheinbar ausschließlich schadet. Der Schlüssel liegt im Kontext. Um den Sinn eines Verhaltens nachvollziehen und damit angemessen reagieren zu können, muss man die Situation des Mitarbeiters, seine Umgebung usw. kennen. Je nachdem was man über diesen Kontext weiß oder aber sich dazu zusammenreimt, wird auch das eigene Verhalten ausfallen. Ein konkretes Beispiel: Mitarbeiter A ist in letzter Zeit sehr unzuverlässig, er kommt oft zu spät, erledigt Zugesagtes nicht und hält Absprachen nicht ein. Im Gespräch mit ihm beteuert er (halbherzig), dass er sich bessern wird, aber es ändert sich nichts. Hand aufs Herz: was denken Sie? Vielleicht so etwas in der Art: „A hat offenbar keinen Spaß mehr an der Arbeit, vermutlich ist er schon auf der Suche nach einem neuen Job und wird demnächst kündigen. Ich habe jetzt schon so oft mit ihm gesprochen, da ist nichts mehr zu machen.“ Schade, denn das ist nur eine mögliche Erklärung. Versuchen Sie es mal mit dem sogenannten Refraiming: setzen sie die Situation für sich einmal in zahlreiche andere mögliche Kontexte und überlegen Sie, wie sich diese Erklärung auf Ihren eigenen Umgang mit dem Mitarbeiter auswirken würde. Für den o.g. Fall wären u.a. noch diese Kontexte denkbar:

  • A hat vor einiger Zeit neue Aufgaben übernommen, die aber nicht seiner Leidenschaft entsprechen. Er versucht sie dennoch zu erfüllen, weil er Sie als seinen Vorgesetzten nicht enttäuschen will oder weil sein „altes“ Aufgabengebiet nicht mehr zur Verfügung steht/ jetzt von einem anderen Kollegen übernommen wurde.
  • In As Familie gibt es einen tragischen Krankheitsfall, der A sehr beschäftigt. Aus Sorge fällt es A schwer sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
  • Ein Kollege von A wurde kürzlich befördert. A ist davon überzeugt, dass dieser Kollege keinen guten Job macht und denkt sich: wenn man mit so einer Leistung so viel Anerkennung bekommt, dann muss ich mich ja auch nicht mehr so sehr ins Zeug legen wie früher.
  • A hat kürzlich einen Bekannten getroffen, der recht gut vernetzt ist. Er hat ihm erzählt, dass As Arbeitgeber wirtschaftlich große Probleme haben soll. A geht davon aus, dass er demnächst ohnehin keinen Bonus bekommt/ seinen Job verliert.
  • Von seinem Vorgesetzten erwartet A sehr viel. Er ist enttäuscht, dass öfters Termine von seinem Chef kurzfristig abgesagt wurden. Die ihm versprochene Weiterbildung hat er dann leider auch nicht bekommen. A ist nur bereit zuverlässig und verbindlich zu sein, wenn sein Vorgesetzter ihm das auch vorlebt.
  • B, ein neuer Kollege von A, kommt mit seinem Arbeitspensum nicht hinterher und tut sich schwer, die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen. B hat große Sorge, dass er seinen Job verlieren könnte. A möchte den Kollegen nicht im Stich lassen und unterstützt ihn wo er kann. A vernachlässigt lieber seine eigenen Aufgaben, da er schon länger im Unternehmen ist und davon ausgeht, dass man ihm das eher nachsieht als dem neuen Kollegen.

 

Diese Liste ist unendlich erweiterbar. Und natürlich: vielleicht hat sich A tatsächlich schon nach einem anderen Job umgesehen. Aber ich denke, es lohnt sich einmal über eine mögliche andere Erklärung nachzudenken bevor man den Mitarbeiter abschreibt. Wenn man sich eingesteht, dass As Verhalten zahlreiche Gründe haben kann, geht man sicherlich ganz anders auf A zu. Wenn Sie also das nächste Mal verständnislos den Kopf schütteln, denken Sie daran: auch wenn es nicht gleich so aussieht, macht das, was der andere da tut, aus seiner Sicht Sinn. Lassen Sie die Schubladen zu und refraimen Sie erst einmal…

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